,,im Mannesjahr
maß er, ein Vater der Dichter,
in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus,
und baute der Psalmen Nachtherbergen
für die Wegwunden“
so dichtete Nelly Sachs, eine schwedisch- deutsche Lyrikerin, die 1966 den Literaturnobelpreis bekommen hat. Ihre Gedichte sind von ihrem Erleben des Holocaust geprägt. In dieser Zeit wurde sie religiös und fand Trost in den Psalmen. „Der Vater der Dichter“, der König David des alten Israels, so schreibt sie in diesem Gedicht, war verzweifelt über die Welt, und so war die Entfernung zu Gott für ihn groß geworden. Deshalb baute er mit der Dichtung der Psalmen Herbergen, mit denen Menschen die Wunden pflegen konnten, die sie auf ihrem schweren Weg bekommen hatten.
In jeder Orgelandacht, wie sie immer mittwochs um 18 Uhr 30 in der Abteikirche stattfinden, wird ein Psalm ausgelegt. In diesen bis zu 3000 Jahre alten Liedern wird geklagt, gejammert, geflucht und den Feinden gedroht. Aber die Rache, auf die die Psalmdichter sinnen, überlassen sie dann Gott und unterbrechen damit die Spirale der Gewalt. Und in allem Gejammer kommt immer wieder ein Satz auf, der Gott lobt und ehrt. Und in allem Geklage gibt es das Zauberwort „dennoch“ oder „aber“. Zum Beispiel steht da: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand“ Ps 73, 23, „Die Feinde überwältigten mich zur Zeit meines Unglücks, aber der Herr ward meine Zuversicht.“ Ps 18,19
Weil es mein Beruf als Pfarrerin erfordert, lerne ich manchen Psalm auswendig. Und immer mehr spüre ich diesen schönen Satz, den Nelly Sachs gedichtet hat, dass nämlich Psalmen Nachtherbergen für die Weg-wunden werden können. Am besten wirken die Psalmen als Nachtherbergen, wenn ich sie oft sage und sie so in mich hineinsickern können. Dann klage ich innerlich gemeinsam mit dem klagenden Psalmbeter. Mit dem „dennoch“ oder „aber“ des Psalms wende ich aber die Seele ab vom Gejammer, und fülle sie mit Gotteslob. Und mein Herz geht auf! Versuchen Sie es mal mit einer guten Nachtherberge!
Ihre Pfarrerin